Was lenkt die Vögel? Warum fliegen Zugvögel überhaupt weg? Was bringt sie dazu, riesige Schwärme zu bilden und wie schaffen sie es, keine Kollisionen zu produzieren? Zugvögel überwinden auf faszinierende Weise ganze Kontinente. 

In ähnlicher Weise wie die Zugvögel gingen Schüler*innen der Klasse 8B1 ihren eigenen Biographien und familiären Wurzeln nach und trugen mit einer selbst entwickelten Soundcollage zu einer musikalischen Weltreise des Berliner Ensembles DieOrdnungDerDinge im Rahmen des Heidelberger Frühlings bei.

 

„Ich bin in Budapest in Ungarn geboren, bin dann nach Zürich ausgewandert, weil Mutter ein Engagement im Orchester hatte…“

 

Die faszinierende Musik-Theater-Performance mit Stücken von Antonio Vivaldi, Maurice Ravel, Benjamin Britten u.v.m. für Jugendliche ab 12 Jahren wurde am 29. März 2023 im Dezernat 16 in Heidelberg von insgesamt 6 Klassen aus unterschiedlichen Schulen besucht. Die Klassen 7C1 und 8B1 der IGH nahmen in Begleitung der Lehrer*innen Tilman Bracher, Meike Kasten-Bauer und Kristina Schlundt an der herausfordernden und interkulturellen Vorstellung teil und erfreuten sich daran, die kreativen Beiträge aus der Feder der IGH wieder zu erkennen.

 

„Ich habe in London gelebt und kam dann über Umwege nach Berlin…“

 

Die anfängliche Aufregung durch Probleme mit dem Strom wurde von den Schüler*innen fröhlich beklatscht und diese Zauberformel sorgte dafür, dass bald die Projektion eines riesigen Vogelschwarms zu sehen war, der man stundenlang hätte zuschauen wollen. Die Videoinstallation begleitete Vogelgezwitscher in Frage-Antwort-Manier, das jedoch nicht von Vögeln, sondern von einer Geige stammte. Was war das für ein Vogel? Eine Amsel? Ein Greifvogel?

 

„Ich wurde in Kandel in der Südpfalz geboren und nach einem Stopp in Hildesheim…“

 

Ornithologen erkennen Vögel von Weitem an der Art ihres Fluges oder mit Hilfe eines Feldstechers, wenn  die Farben des Gefieders sichtbar werden. Hat man die richtigen Kleider und festes Schuhwerk an, kann es vorsichtig ins Gebüsch gehen, um Vögel zu beobachten. Die Übung „Sitzplatz“ verhilft dazu: Hierbei muss man mehrere Wochen lang am selben Platz ca. 15 Minuten lang ruhig sitzen bleiben, bis man nicht mehr für Aufruhr sorgt und die Tiere langsam näher kommen. 

 

„Meine Urururoma und -opa hatten eine Auswanderungsgeschichte, ich wurde 1980 in São Paolo in Brasilien geboren…“

 

In voller Montur zeigten die  Schauspieler*innen die Sitzplatz-Übung. Zugleich spielten sie zunächst auf Einzelinstrumenten, dann gemeinsam, Vogelgeräusche und Musikbegleitung hierzu, mal harmonisch, mal wild durcheinander. Der Klangteppich wuchs von zart zu aufbrausend, so, dass sogar die Flugbahn und das Schwarmverhalten der Vögel hörbar wurden. Vom Piepsen der Geige über das Knarzen des Cellos bis zu den tiefen Tönen des Klaviers wurde das Klangspektrum der Instrumente vorgeführt, um schließlich einem majestätischen Origami-Kranich aus gefaltetem buntem Papier die Bühne zu überlassen. 

 

„Ich und meine Familie leben schon immer in Heidelberg, seit mehreren Generationen…“

 

Der Kranich ist im Sommer ein Einzelvogel, im Herbst ein Gruppenvogel. Um sicher vor Angriffen zu sein, stehen manchmal Tausende Kraniche im Wasser. 

Tagsüber orientiert sich der Kranich an optischen Reizen. Seen, Gebäude, Landschaften haben Wiedererkennungswert. Nachts erspürt der Kranich mit Hilfe eines Organs oberhalb des Schnabels, ähnlich wie beim Gleichgewichtssinn, die Magnetfeldlinien der Erde. Auch Großwetterlagen können die Vögel vorausschauend wahrnehmen. Dann kann es sein, dass plötzlich Zehntausende von ihnen los fliegen, um Stürmen zu entkommen. 

 

„Meine Eltern kamen als Gastarbeiter nach Hannover…“

 

Mittels Projektionen, Gesangs- und Instrumentalsolos, Schattenspiele und Geräuschkulissen schafften es die drei Schauspieler*innen, die Reisestationen und den exakten Tagesablauf des Kranichs zu illustrieren und musikalisch eindrucksvoll zu untermalen. Hierbei fanden Naturgeräusche, Federkleidung  und Weltkarten Anwendung. 

 

„Mein Opa heiratete in Griechenland…“

 

Der Kranich ist auch ein Sternbild des Südhimmels. Er taucht in vielen Kulturen als Symbol auf, zum Beispiel in der Legende, dass man 1000 Kraniche aus Papier gefaltet haben sollte, um Glück zu erlangen oder als eine Figur in einer Tai-Chi-Abfolge von gymnastischen Übungen. 

 

„Meine Oma stammt aus einem deutschen Ort, der jetzt zu Polen gehört…“

 

Zugleich konnte der Zuschauer einiges über die Vorstellungen der Menschen in der Antike und im Mittelalter erfahren. 

Aristoteles machte sich Gedanken über das Fortbleiben der Schwalben. Es gab die Idee, dass die Vögel Winterschlaf hielten, zum Mond flogen oder gar zwischen den Blättern der Bäume versteckt ihr Federkleid abstreiften und sich in Äste verwandelten.

Im Mittelalter galten Schwalben als Glücksbringer und Beschützerinnen des Hauses vor dem Blitz. Gefiederte Kugeln am Grund der Seen und die Verwandlung in Frösche standen zur Debatte, im Glauben, die Vögel könnten auf diese Weise als Amphibien überwintern und im Frühling wieder zu ihrem Erscheinungsbild zurückkehren.

Die Vielfalt der Vorstellungen schlug sich in mittelhochdeutschem Liedgut, in Kirchenmusik und in skurrilen onomatopoetischen mehrstimmigen Kanons nieder, die schließlich dadaistische Züge trugen und Oigi-Oigi-Tutu-Tutu-prrrr-und-drrr-Laute aller Couleur feierten. 

 

„Wir sind immer zwei Straßen, dann fünf Straßen weiter umgezogen…“

 

Auf Reisen erleben und überleben die Zugvögel viele Gefahren. Sie überfliegen Strommasten, Gebirge, Gewässer, im Durchschnitt 12 Landesgrenzen, 180 Seen, 96 Flüsse, 13000 Maisfelder, 27 Wälder, 35 Funktürme, 39 Leuchttürme, unzählige Kirchtürme…

Ein leuchtender Kranich visualisierte in einer kreisrunden Flugbahn, die Decke im Spielraum überquerend, die Reise und ihre Hürden und Stationen.

 

„Wir lebten im Lager, jetzt leben wir hier…“

 

In einem Nachgespräch beantworteten die drei Musiker*innen und darstellenden Künstler*innen Fragen der Schüler*innen:

Wie kam euch die Idee zum Stück? 

Würdet ihr auch gern ein Vogel sein? 

Hat jemand von euch schon mal geträumt, fliegen zu können? 

Wie lang spielt ihr schon ein Instrument?

 

Die poetische und anspruchsvolle Aufführung inspirierte und brachte die Zuschauer*innen zum Nachdenken: über die weiten Reisen der Vögel und der Menschen, über ihre Erlebnisse unterwegs, die Höhepunkte und Wendungen des Lebens. 

Das Ensemble bedankte sich herzlich bei den Schüler*innen der IGH für ihre persönlichen Zuzug-, Hinzug- und Wegzug-Geschichten aus dem echten Leben.

 

Text und Fotos: Iunia Ionescu