Wir, die Klasse 9A2, bekamen am 03.12.2014 Besuch von der Heidelberger Autorin Anne Richter. Dabei lauschten wir nicht nur gespannt der Lesung aus ihrem neuesten Erzählband „Kämpfen wie Männer“ (2012), sondern durften in einem Interview auch allerhand Fragen an sie stellen.

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Wer hätte nicht einmal gerne gewusst, wie eine richtige Autorin Ideen entwickelt oder ihre ersten Karrieresprünge wagte? Nicht zuletzt bekamen wir einige Schreibtipps von der Expertin. Beim „Automatischen Schreiben“ zu Musik tauchten wir in den Charakter und die Gefühlswelt unserer Protagonisten ein.

Eingebettet war dieses Ereignis in einen Schreibwettbewerb zur Produktion einer eigenen Kurzgeschichte. Mit dem vorgegebenen Thema "Familienzwist" war sicher jeder schon einmal konfrontiert. Dies regte zu spannenden literarischen Verarbeitungen an.

(Artikel von Sarah T. und Franka K.)


Hier präsentieren wir den Gewinnertext

„Schweigen“ von Patricia Heinze
Sie war bereits wach als der Wecker klingelte. Das metallische Geräusche hatte sie schon seit langer Zeit nicht mehr geweckt. Der Vater klopfte an ihre Tür: „Steh endlich auf“, brüllte er, „du bist wieder spät dran. Hörst du mich!“ Sie antwortete nicht. Ihre rosa Decke zog sie über ihren Kopf und die Welt schien einige Moment rosig. Doch dieser Augenblick wurde von ihrer Mutter zerstört: „Holly, komm endlich zum Frühstück runter. Bist du etwa noch nicht fertig? Ich habe keine Geduld mehr.“
Aber Holly schweigt.
Als sie in die Küche ging, waren ihre Geschwister bereits fertig und ihre Eltern sahen sie zornig an: „Bist du etwa nicht fertig? Warum brauchst du immer so lange? Du solltest das Vorbild deiner Schwestern sein. Nicht umgekehrt.“ Aber Holly schweigt.

Je mehr sich das Auto der Schule näherte, desto heftiger pochte ihr Herz. Als sie ankamen, suchten ihre Augen automatisch Adrian. Er schaute sie mit einem Grinsen im Gesicht an. Sie war so nervös, dass sie die Worte ihrer Mutter nicht hörte, bis sie anfing zu schreien. Holly folgte mit ihrem Blick dem wegfahrenden Auto. Ein weiterer Tag, ohne mit ihr gesprochen zu haben. Während sie zum Schulgebäude lief, begann das übliche Gemurmel, Gelächter. Und die Beleidigungen. Ihre Schwestern liefen ohne sie weiter. Sie stand jetzt in ihrer Ecke und wurde von niemanden gesehen.

„Dieser Tag wird anders sein“, beschloss sie. „Heute werden sie mich nicht beleidigen, diese Chance werde ich ihnen nicht bieten.“ Während sie um die Ecke ging, in die entgegengesetzte Richtung zu sonst, begegnete sie der Direktorin. „Was machst du hier, weißt du denn nicht wie spät es ist? Los beeil dich! Kannst du denn nicht wie deine Schwestern sein?“ Doch Holly antwortete nicht. Sie hatte gelernt zu schweigen.

Dies lernte sie an dem Tag, an dem jeder anfing ihr nicht mehr zu glauben. Der Tag, an dem Adrian in der Apotheke, in der sie samstagvormittags jobbte, eine Packung Tabletten klaute. Der Ladenbesitzer glaubte ihr nicht, denn als Kapitän der Baseballlmannschaft war Adrian blitzschnell aus der Apotheke draußen. Der Ladenbesitzer glaubte ihr nicht, er war ein Freund von Adrians Eltern. Seitdem verachtete sie jeder in der Schule und sie schweigt.
Während Holly nun zum Klassenzimmer lief, wurde sie von einer Gruppe Jungen aus der Baseballmannschaft geschubst. Sie lief gerade an einer Lehrerin vorbei. Die Lehrerin schaute sie wütend an und knurrte: „Das wird sich jetzt ändern!“ Sie hörte ein schwarzböses Lachen der Jungengruppe, als sie zur Direktorin gebracht wurde. Sie setzte sich auf einen Stuhl und schweigt. Währenddessen redeten die Frauen und telefonierten. Eine halbe Stunde später traten Hollys Eltern in das Büro der Direktorin.